1920er – Krise der Agrikulturchemie
Die beginnende Intensivierung zeigt Folgen: der finanzielle Druck steigt, die Böden versauern und weit und breit keine Steigerung der Produktivität.
In den 20er Jahren gerät – heute vielfach vergessen – die Landwirtschaft in eine heftige Krise. Zum Teil war dies eine Spätfolge des ersten Weltkriegs, aber auch ein Resultat der beginnenden Intensivierung des Kunstdüngergebrauchs, der mehr und mehr zur zentralen Maxime des Handels erhoben wurde. Ihr Motto: „Viel hilft viel!“. Dabei nahm sich die empfohlene Dosierung im Vergleich zum späteren Stickstoffeinsatz „geradezu homöopathisch“ (Uekötter) aus. Die Agrikulturchemie rühmte sich, einzig durch den Einsatz von Kunstdünger könnten die seit dem 1. Weltkrieg dem Boden fehlenden Nährstoffvorräte wieder aufgefüllt werden. Weder die „Bodenbakteriologie, noch Elektrokultur, noch Kohlensäuremast oder wie sonst die für den Wissenschafter hochinteressanten Probleme heissen mögen“, könnten an der Souveränität des Kunstdüngers kratzen, äzte eine Düngerfibel der Zeit.
Dennoch blieben die versprochenen Ernteerfolge aus. Und die Krise wuchs sich aus, denn hinzu kam ein erhebliches finanzielles Risiko für die Bauern. Schließlich wurde der Kunstdünger bereits in den 20er Jahren zur wichtigsten betrieblichen Investition. Mit welchen Schwierigkeiten die Liquiditäts- und Kreditkrise für die Bauern verbunden war, beschrieb Hans Fallada 1931 in seinem Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“. Schließlich tauchten auch noch die ersten ökologischen Schäden auf, die als „Versauerung der Böden“ zu heftigen Debatten führten. Untersuchungen Ende der 1920er Jahre ergaben, dass rund ein Drittel aller Böden versauert waren. Während die Agrikulturchemie in weiten Bevölkerungskreisen ihr Vertrauen vorerst verspielt hatte, waren Bodenbiologie und andere Disziplinen den komplexen Stoffumsetzungen methodisch aber noch nicht gewachsen. Wirklich praktische Alternativen hatten auch sie nicht anzubieten, kritisierten aber die einseitige Abhängigkeit von den Düngersyndikaten. Sollte man also zurück zum Chilesalpeter kehren?
Fallada, Hans: Bauern, Bonzen und Bomben auf Rowohlt
Hoffmann, Max: Düngerfibel auf Google Books
Uekötter, Frank: Die Wahrheit ist auf dem Feld. Eine Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), S. 199-214
Titel: 1920er - Krise der Agrikulturchemie / Rechteinhaberin: BIO-WISSEN.org / Grafik: Andreas Pawlik (dform) / Redaktion: Alexander Martos (Science Communications Research), Reinhard Gessl, Elisabeth Klingbacher (FIBL Österreich) / Copyright: 1920er - Krise der Agrikulturchemie von BIO-WISSEN.org ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.