Melde dich an um Kommentare zu zeichnen

1920er - Umkämpfte Alternativen

Warum die frühe "Bio-Forschung" scheiterte und die Anthroposophie aus dem Kanon anerkannter landwirtschaftlicher Praktiken ausgegrenzt wurde.

 

Die Anfänge der heutigen biologischen Landwirtschaft gehen auf die 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Viele der Ideen aber – von der Stickstofffrage bis zur Humustheorie, die am Beginn der Agrarwissenschaften gestanden hatte – hatten bereits eine wesentlich längere Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Dennoch schienen in der Zwischenkriegszeit vor allem die Bodenmikrobiologie und die Bodenkunde vielversprechende Disziplinen, die ein Gegengewicht zur Agrikulturchemie darstellten. Die Themen lagen auf der Hand: Stallmistwirtschaft, Humusversorgung, Gründüngung, Brache, Bodengare ... Nach der Erfindung des Haber-Bosch-Verfahrens hatte die Frage der Stickstofffixierung zwar an Dringlichkeit verloren, die komplizierten Prozesse im Boden begann man dennoch erst langsam zu verstehen. Während also die Bodenbakteriologie noch ein eminentes Methodenproblem hatte, interessierte sich die frühe Bodenkunde mehr für die Kartierung und Klassifikation – also die Taxonomie – von Bodentypen als für die ackerbauliche Praxis. Beide ließen also viel Raum frei und konnten kaum praxisrelevante Empfehlungen entwickeln.

Mit seinen 1924 auf Gut Koberwitz in Breslau gehaltenen „geisteswissenschaftlichen“ Vorträgen, erwies sich Rudolf Steiner – trotz oder wegen der magischen Elemente seiner anthroposophischen Landwirtschaftslehre – hingegen als höchst einflussreich. Es folgten scharfe Auseinandersetzungen mit der Agrikulturchemie, die die von Steiner begründete bio-dynamische Bewegung unter dem „Demeter“-Label als „Irrlehren, Scheinwissenschaft und Dilettantismus“ brandmarkten. Diese Ausgrenzung wurde zwar gegen die Bio-Dynamik geführt, betraf aber letztlich alle Überlegungen zu einem alternativen Landbau, die auch auf Leute wie Francé, Görbing, Sekera, Sauerlandt, Waksmann uvm zurück gingen. Jedenfalls fußte der spätere Siegeszug der Agrochemie in den 50er Jahren ganz wesentlich auf dieser Ausgrenzung. Sie ist verbunden mit einer massiven Wissenserosion und machte den Ökolandbau zu einem Auffangbecken für Ideen, die nicht unmittelbar auf die Industrialisierung und Produktivitätsmaximierung abzielten. Erst in den 80er Jahren, als die Folgen dieses Prozesses sichtbar wurden, begann man sich wieder den frühen ReformerInnen zuzuwenden. Dazu zählte vor allem auch die „organisch-biologische Landwirtschaft“, die vom Schweizer Ehepaar Hans und Maria Müller bereits ab den 20er Jahren (und seit den 50er Jahren gemeinsam mit dem Arzt und Mikrobiologen Hans Peter Rusch) als alternative Landwirtschaftspraxis entwickelt worden war, auf eine Kosmologie à la Steiner aber verzichtete.

 
Quellen: 

Uekötter, Frank: Die Wahrheit ist auf dem Feld. Eine Wissensgeschichte der deutschen Landwirtschaft. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010), S. 214-275
"Ökologische Landwirtschaft" auf Wikipedia

 
Credits: 

Titel: 1920er - Umkämpfte Alternativen / Rechteinhaberin: BIO-WISSEN.org / Grafik: Andreas Pawlik (dform) / Redaktion: Alexander Martos (Science Communications Research), Reinhard Gessl, Elisabeth Klingbacher (FIBL Österreich) / Copyright: 1920er - Umkämpfte Alternativen von BIO-WISSEN.org ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Creative Commons Lizenzvertrag